Agnes Obel – Myopia

Warum mein Gehirn bei Angel Olsen immer an Agnes Obel denkt und umgekehrt, ist mir schleierhaft. Gut, ein wenig ähnlich sind sich die Namen, und bei beiden ist es nicht die Art von Songs, zu denen Kinder toben, wenn sie das erste mal nach dem Coronavirus wieder draußen auf dem Spielplatz toben dürfen. Da macht auch das vorliegende neue Album von Agnes Obel namens „Myopia“ keine Ausnahme.

Genauer gesagt, ist das Gegenteil hier auch der Fall, die Musik zelebriert die Kunst der vertonten Unheimlichkeit. Wer das nicht glaubt, der sollte wissen, dass David Lynch sie so verehrt, dass er von ihren Songs Remixe erstellt hat. Beim vierten Langspieler der Dänin, die in Berlin lebt, schafft sie die Unheimlichkeit noch zu steigern. Sie schafft es, mit Stille zu arbeiten, und die kann ja für ziemliche Gänsehaut sorgen.

Ganz ruhig ist es nicht, denn hervorheben muss man ihren Gesang. Der ist samtig, weich und kann aber in diesem Kontext neben Wärme auch für herrliches Unbehagen sorgen. Und dennoch fühlt man sich von der Stimme angezogen, wie die besagten Kinder vom Spielplatz. Aber auch die Arrangements sind beeindruckend, und auch hier ist der Kammerpop sehr dezent und dennoch eindringlich. In manchen Augenblicken klingt es auch zärtlich bedrohlich.

Ein Grund dafür ist, dass sie den Gesang und auch einige Instrumente wie ein Cello herunterpitcht. Dadurch klingen diese natürlich sehr entfremdet. Dazu Pianoklänge, die hier auch nur auf Moll gestimmt sind, und so entstehen solche wunderbaren Oden wie „Island Of Doom“, die einen mitnehmen in dunkle Klangwelten und dennoch auch etwas Menschliches an sich haben. Es ist Neo-Klassik, mit elektronischer Handwerklichkeit bereichert. Keine Spielereien, sondern richtige Kunst.

Man denkt bei „Myopia“ an das 2006er Werk „Silent Shout“ von The Knife, nur dass hier keine Beats auftrumpfen, sondern die Möglichkeiten von klassischer Musik genutzt werden. Das Ganze schön entschleunigt und zutiefst beeindruckend mit Blick in den Abgrund. „Myopia“ ist jetzt schon eines der Alben des Jahres 2020.

Erschienen bei: Deutsche Grammophon / Universal

www.agnesobel.com